Uls Kolumne

Altes Geraffel

"Ihrem Meister dient sie, ...

... den Knecht tritt sie in den Staub."

So ähnlich hat sich Klacks mal geäußert. Das ist schon lange her und es ging - selbstverständlich - um Motorräder und einen Grundgedanken, der immer noch aktuell ist, wenn auch mit anderen Vorzeichen. Damals war es schwer, eine starke Maschine zu beherrschen. Die Fahrwerke und die Bremsen waren von der Motorleistung hoffnungslos abgehängt worden.

Heute sind auf den Straßen 180 PS starke Rennmotorräder unterwegs, die fast schon überirdisch gut funktionieren. Ich hatte mein Aha-Erlebnis 1994 oder 95 am Bremer Kreuz, als ich auf einer Vorführer-Fireblade die langgezogene Auffahrt Richtung Osnabrück mit gut 200 Km/h in heldenhafter Schräglage runterbretterte und das Motorrad wie auf Schienen lief. Dabei gab es keine Sekunde, in der das Fahrwerk nicht zurückmeldete, daß es immer noch völlig unterfordert war.

Ein tolles Gefühl, wenn du vorher an der gleichen Stelle auf deiner 1979er XS 400 schon mit 150 Km/h allen Mut und nach jeder Querfuge zwanzig Meter gebraucht hast, die schlingernde Karre wieder in den Griff zu bekommen. Oder die Kurven, in denen die alte 450er Honda bei nur mäßig sportlicher Schräglage laut, und bis in die Lenkerenden spürbar, mit den Auslegern der Fußrasten weiße Schrammen in den Asphalt kratzte. Bei gleicher Geschwindigkeit signalisierte mir die Fireblade, ohne sich groß um Diskretion zu bemühen, bestenfalls Langeweile. Und schlimmstenfalls Mitleid. Also habe ich nochmal alles gegeben, eine persönliche Bestzeit nach der nächsten aufgestellt und es ist mir trotzdem nie gelungen, sie in Bedrängnis zu bringen.

Das soll natürlich nicht heißen, daß es nicht eine Menge großartiger Jungs gäbe, die es schaffen, einen aktuellen Supersportler am Limit zu fahren und mit allem Recht der Welt darüber diskutieren, ob die Zugstufe am Federbein sieben oder acht Klicks zugedreht werden muß, damit das Hinterrad beim Rausbeschleunigen ein bißchen weniger pumpt. Diese Burschen holen sich ihren Kick, indem sie im Kurvenscheitel mit dem Ellenbogen über die Curbs rattern, am Kurvenausgang lange schwarze Striche malen und dabei das Vorderrad konstante zehn Zentimeter über der Straße halten. Respekt. Obwohl eine solche Fahrweise wahrscheinlich vollkommen bescheuert ist - die sind auf dem richtigen Motorrad unterwegs.

Mir persönlich wird bei so etwas Angst und Bange. Und ich bin offensichtlich nicht der einzige. Im Sommer erlebe ich es fast täglich, daß Fahrer mit modernem Sportgerät die Kurven zuparken. Wenn ich meinen fiesen Tag habe, gönne ich mir den Spaß und ziehe mit meinem alten Geraffel innen vorbei. Auf der folgenden Geraden teilen sich die Überholten dann in zwei Gruppen. Die einen geben jetzt richtig Gas und zeigen dem dreisten Sack, was ne Harke ist.. Die nächste Kurve durchfahren sie dann mit zwei Grad mehr Schräglage und knallhart zusammengekniffenen Arschbacken. Wenn sie Pech haben, ist die Gerade aber nicht lang genug. Die anderen bleiben zurück und halten konzentriert Ausschau nach dem nächsten Parkplatz.

Natürlich könnte ich nach solchen Erlebnissen testosterongeflutet zum nächsten Stammtisch fahren und von meinen Heldentaten berichten. Und es wäre nicht besonders ehrlich und würde nach dem eben Geschriebenen wohl auch kaum glaubhaft klingen, wenn ich bestreiten würde, so etwas jemals getan zu haben. Trotzdem schwingt inzwischen auch immer etwas altersbedingtes Mitgefühl mit, wenn ich mich frage, warum Menschen sich auf Maschinen setzen, die von ihnen etwas verlangen, was sie garnicht geben können oder wollen. OK, diese Motorräder liegen perfekt, haben perfekte Bremsen, verfügen über unglaublich starke Motoren, sehen schon im Stand wahnsinnig schnell aus und sind Testsieger.

Also Image? Na klar, Image ist schon wichtig. Aber ist es auch das richtige? Und was ist ein geborgtes wert? Was nützt es, die Rennstrecke zu besitzen, wenn du dort nie auftauchst und wenn doch, dann keine Sonne siehst und, vor allem, keine Sekunde wirklich Spaß hast? Ist es befriedigend, einen mattschwarzen Chopper zu kaufen, offene Tüten dranzuschrauben, das Halstuch über die Nase zu ziehen und alte Leute zu erschrecken, obwohl du doch eigentlich ein ganz netter Kerl bist? Naja, vielleicht ab und zu mal.

Aber wie befriedigend ist es, ein Motorrad zu fahren, vor dem du Angst hast? Das dich ständig herausfordert und nie gewinnen läßt? Und wie schön wäre es zur Abwechslung mal anders herum? Wie wärs mit einer Maschine, die du fordern kannst, deren Grenzen du nicht nur aus Zeitungsberichten kennst, auf der du bequem sitzt? Die alles kann, was du brauchst. Die du aber, wenn du möchtest, rannehmen kannst, bis sie nicht mehr weiterweiß?

Wenn auf einmal nicht mehr du der Knecht bist? Eine Menge Fragezeichen. Und keine Antwort.


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